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Mittwoch, 6. August 2008

Stratosphärische Phänotypen

Estnische Alarmanlagen

Nach der Fährfahrt nach Tallinn checkte ich im City-Camping ein. Ein Zeltplatz hinter ein paar Sporthallen der die Benutzung der Mannschaftsduschen beinhaltet... samt Sauna.
Bei regnerischem Wetter laufe ich durch die Altstadt, die in eine Unter- und Oberstadt geteilt ist. Die beiden Teile hatten sich eine ganze Zeit ordentlich in der Wolle und gaben die Teilung erst Ende des 19-Jhd auf.
Ich bin schon überrascht, dass es nur noch wenige unsanierte Gebäude in der Altstadt gibt. Natürlich gibt es auch hier die großen Einkaufszentren in Innenstadtnähe.
In Norwegen und Finnland ist Mo-Fr ab 18:00 Uhr und Samstag ab 15:30, spätestens ab 17:00 Uhr alles geschlossen. Ich empfinde das als sozialistische Zustände. Die Skandinavier ziehen das aber straff durch. Hier nun das ganze Gegenteil. Die meisten Geschäfte haben sogar am Sonntag offen. Ich denke aber, dass der erste Konsumrausch auch hier bereits vorbei ist. Man trägt nun auch weniger Kleidung mit dicken Markenzeichen, (Dolce&Gabana etc.), sondern T-Shirts als Nachweis der bereits besuchten Reiseziele (South Afrika, Tokio, Rio de Janeiro, etc.).
Die Altstadt ist sehr schön. Ich wandere durch die Gassen und entlang der Stadtmauer mit noch vielen erhaltenen Wachtürmen, steige auf den engen Rathausturm und in die Oberstadt. Wieder wohne ich einer Hochzeit in der orthodoxen Alexander Nevski Kathedrale bei und genieße den Ausblick auf die Stadt. In der Ferne sehe ich die großen Fährschiffe kommen und gehen. Einen solchen Ozeanriesen am Horizont zu sehen ist immer wieder schön. Auch am Denkmal für die 852 Opfer der Estonia-Fährkatastrophe mache ich halt.
Was mir auch sofort auffällt ist, dass jedes Auto eine Alarmanlage hat, die vom Besitzer mittels Fernbedienung und akustischem Signal scharf geschalten und entschärft wird. Am liebsten auch mehrfach hintereinander, das hält besser und klingt so schön. Ich finde auch, dass z.B. ein fast 20 Jahre alter Audi 80 mit mehr als 200-tsd. Kilometer dringend gesichert werden muss.
Nach ein paar Tagen in Hapsalu, an der Westküste geht es über den Nationalpark Matsalu, der für seine Vogelwelt bekannt ist weiter nach Süden. Viele kleine Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern sind unasphaltiert und machen Laune!

Lettländische Phänotypen

In Riga auf dem City-Zeltplatz, wieder inkl. Mannschaftsduschen hinter großen Messehallen, treffe ich zwei Pärchen auf Bikes. Die einen kommen aus Italien. Naja Sie kommt aus Freiburg und Er ist Italiener. Sie fährt einen BMW-Boxer mit 275-tsd. Kilometern!
Miriam und Malte haben Kennzeichen aus Kassel, wohnen und arbeiten aber seit einiger Zeit in Stockholm. Sie sind auf dem Rückweg von der Krim und haben auch Rumänien etc. durchquert, insg. 10 Länder. Wir tauschen einige Informationen und Geschichten aus. Zum Abschied schenken sie mir das Langenscheids Ohne-Wörter-Buch. Dieses kleine Handbuch wird mir mit vielen Zeichnungen helfen, mich verständlich zu machen. Klar, mein Rumänisch und Farsi sind ein wenig eingerostet und bis ich wieder drin bin…
Ich bleibe nur eine Nacht auf dem Zeltplatz, da Helge mich über das verlängerte Wochenende hier in Riga besucht. Ich fahre für 40 Sentimes, umgerechnet 60 Cent, mit dem Bus zum Flughafen und hole sie ab. Wir haben ein Hotel in der Nähe der Innenstadt und können eigentlich alles erlaufen. Nach 6 Wochen wieder in einem geschlossenen Raum zu übernachten ist ungewohnt.
Am nächsten Tag wandern wir zuerst über den großen Markt, auf dem es so ziemlich alles gibt. Bei den Obst- und Gemüseständen quellen uns die Augen über und wir decken uns mit Nektarinen, Pfirsichen und Pflaumen ein. Danach geht es durch die Markthallen. Hier bieten die etwas rundlichen Marktfrauen jede Menge Käse, Nüsse, Konfekt, Honig, Fisch und Fleisch, Kleidung und viele weitere Dinge an. Dazwischen die Omis mit den Strumpfhosen und die Opis mit den Leselupen. Ein herrlicher Trubel. Und alle trinken nahezu das Gleiche…Kvass. Ich kannte eine ähnliche Mischung namens Kombucha aus Deutschland. Es handelt sich hier um eine fermentierte Mischung aus Tee und russischem Brot, die ganz leicht alkoholhaltig ist und auch als russische Kola bekannt sein soll. Wir versuchen einen Becher von einem der fliegenden Händler mit den großen Tanks auf zwei Rädern und finden es gar nicht so schlecht.
Danach schlendern wir durch die Gassen, besuchen den Dom, die Petri-Kirche, das Schwedentor und das Freiheitsdenkmal. Bei Regenpausen sitzen wir im Kaffee oder im Park und genießen unser ebenfalls auf dem Markt gekauftes Gebäck...lecker!
Nach der Estnischen Krone ist nun der Lettische Lat angesagt. Die Dinge des täglichen Lebens sind schon wesentlich billiger als in Deutschland. Ein Stück Gebäck ist für umgerechnet 30 Cent zu haben, ein Kilo(!) Konfekt für durchschnittlich 3,50 Euro, ein Kinobesuch kostet 4 Euro und ein Liter Normalbenzin 1,30 Euro.
Anders wird das im Nachtleben. Uns zieht es am Samstag zuerst in die Skyline-Bar, in der letzten Etage eines Hotel-Gebäudes. Wir finden tatsächlich einen Kuschelplatz auf einem der Sofas. Die Wände sind mit dunklem Holzfurnier modernen Stils bedeckt, die großen braunen und rotweinfarbenen Lampen geben ein warmes, lauschiges Licht. Der Ausblick auf die Stadt ist natürlich gigantisch. Was stört sind die allgegenwärtigen Flachbildschirme mit Nachrichten- und Sportsendungen. Wir lassen uns nicht lange nieder, denn wir wollen in einen der Nachtklubs (übrigens auf lettisch „Naktklub“). Die angeblich nicht Ungefährlichen haben wir aussortiert und nach einer Runde durch die Stadt landen wir doch wieder eine Straße weiter von der Skyline-Bar im „Essential“. Der Club besteht, wie wir erst nach einiger Zeit mitbekommen, aus 4 Floors, die alle wie in einem Labyrinth miteinander verbunden sind. Durch einen blöden Zufall laufen wir durch eine offene Tür und kommen in den Backstage-Bereich. Einige Räume sind dunkel und mit „Bodenpolstern“ und übergroßen Relax-Ecken ausgestattet. Mann, was da wohl manchmal abgeht…? Bloß raus hier!
Helge bestellt ein Bier und bezahlt mal eben 7 Euro. Hupps! Deshalb sind die Bars immer relativ leer.
Der ganze Laden ist voller Exemplare einer unbekannten Gattung deren Phänotypen nur leicht variieren. Sie sind alle zwischen 1,70 und 1,90 groß, haben offene lange Haare (meist blond), sind künstlich sonnengebräunt und nicht mit viel bedeckt. Diese Wesen scheinen den Drang zu haben, sich so weit wie möglich der Stratosphäre zu nähern. Sie benutzen dazu extrem hohe Absatzschuhe und wissen mit diesen auch zu rhythmischen Klängen zu „balancieren“. Ich sag nur zu Helge: „Meine Herren, sind hier ein paar Maschas unterwegs!!“. Natürlich sind auch viele Ausländer da. Hier und da kommt es, wie ich denke, zu einem interkulturellem Missverständnis. Vor allem Westeuropäer sehen in dem beschrieben Phänotyp ideale Jagdbeute. Ich denke einige wenige Mädels mögen offen dafür sein aber die allermeisten wollen einfach nur ihren Spaß haben und das sieht hier nun mal so aus. Und dazu gehört auch, dass „ordentlich rausgepackt“ wird. Das machen am Ende die Männer mit den getunten Autos und den goldenen Armkettchen auch. Irgendwie gehört das auch hier her…
Die DJ’s der verschiedenen Floors haben sich nicht abgesprochen und jeder spielt dem anderen in das Floor-Genre. Aber egal, wir haben unseren Spaß.
Als wir gegen vier Uhr morgens den Laden verlassen, steht eine der Omas mit den Blumensträußen immer noch am Park und versucht sie an Passanten zu verkaufen. Auch das ist das Baltikum!
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Zug hinaus nach Jürmala. Diese Ansammlung von Küstenorten war wohl vor 100 Jahren noch ein Haufen Fischerdörfer. Nun wird hier an einem breiten Strand gebadet und Beach-Volleyball gespielt. Einige sehr reiche Leute haben sich hier außerordentlich hässliche Häuser gebaut. Nur einer hat einen alten Holzpalast gerade wieder nahezu original herrichten lassen. Schön!
Wir beschließen den Tag mit einem Essen bei einem sehr guten Inder und wieder in der Skyline-Bar. Was uns beiden gerade an Riga gefallen hat, ist der manchmal etwas morbide Charme der Gebäude und auch mancher Gestalten auf der Straße. Uns erscheint gerade das als realer, als wenn alles so überperfekt und herausgeputzt ist. Wer weiß, wie lange das noch so sein wird.
Ich bringe Helge am Montag an den Flieger. Wir wollen uns in Istanbul wieder treffen. Das ist eine lange Zeit für sie und ein weiter Weg für mich…

Litauische Walt-Disney-Burgen

Ich fahre weiter an die Kurische Nehrung. Es wird dunkel als ich die Fähre nehme. Noch 44 Kilometer. Ich benutze einen Audi A6 als „Taschenlampe“ durch den dunklen Wald. Er gibt langsam Gas. Ich bleibe dran auch bei welligem Untergrund. Ich glaube irgendwann bekommt er Angst durch das immer an ihm dran bleibende Licht und geht auf 140 km/h und ich gehe aus Sicherheitsgründen vom Gas. Egal fast da. Auf dem fast voll belegten Zeltplatz in Nida begrüßt mich ein Biker aus Aue-Schwarzenberg und ein älteres Pärchen aus Neuseeland. Mit letzteren habe ich noch einen netten Schwatz bevor ich ins Zelt krieche. Am nächsten Tag besuche ich die Wanderdüne und das Sommerhaus von Thomas Mann. Letzterer hat es sich hier in den 30-er Jahren gut gehen lassen, bevor er nach Amerika emigrierte.
Nach einem Regentag in Kleipeda fahre ich weiter Richtung Osten, durch Kaunas und übernachte in Trakai bei Vilnius für eine Nacht. Hier sieht es aus wie in Schwerin…samt Schloss auf einer Insel und den netten Straßen. Naja, das Schloss ist restauriert und sieht ein wenig nach Walt-Disney-Park aus.
Heute fahre ich nach Vilnius hinein und habe ordentlich zu tun den City-Campingplatz zu finden. Und auf dem Weg passiert, was mir nun in Litauen schön öfter passiert ist, ich bin eine Attraktion. An jeder Ampel sind alle Augen auf mir und meinem Bike. Ich werde von Fußgängern fotografiert und bekomme „thumbs up“ gezeigt. Litauen ist eine motorsportbegeisterte Nation, das merkt man sofort. In Estland und Lettland war das überhaupt nicht so. Komisch ist das nur, wenn man zurück zum Motorrad kommt und zwei Muskelprotze stehen mit verschränkten Armen daneben und betrachten jedes Detail und fangen dann an zu fragen „Xau mäni kilomäters häs thies bike? Wäre are uuu sliiiping this nieeet!“ (Übersetzung: Wie viele Kilometer hat das Bike runter? Wo übernachtest Du heute Nacht?). Gerade beim letzteren bin ich natürlich nicht ganz ehrlich…im Hilton!
Aber das ist OK! Eigentumssicherung ist hier immer ein Thema. Leider! Deshalb immer Kette dran!
Vilnius selbst hat eine schöne Altstadt mit jeder Menge barocker Kirchen und in der Kathedrale wird am Fließband geheiratet und getauft.
Im Vergleich der drei baltischen Hauptstädte gefällt mit Riga am besten. Ich denke der schöne Markt hat den Ausschlag gegeben ;-)…

PS: Beim Friseur in Hapsalu war übrigens alles problemlos. Nur mit dem Gesichtspullover muss ich mir langsam mal was einfallen lassen.


Typische lettische Marktfrau


...Fleisch!!!!....


Die Altstadt von Riga


Jürmala-Beach


Riga bei Nacht...und ich im Hemd...


Sommerhaus von Thomas Mann in Nida auf der Kurischen Nehrung


Burg in Trakai


Kathedrale von Vilnius

4 Kommentare:

Mario hat gesagt…

Kannst Du mal bitte einen Voice Blogg machen. Sonntag frueh soviel lesen is nich jut fuer die Augen. Warum gibt es keine Bilder von den unvariierenden Weibsbildern, die Du so blumenreich beschmückt hast ?

Anonym hat gesagt…

mähhh...
Hab dir vorgestern vom Kap Arkona aus zugewinkt. Dank des von mir angewendeten Zeitverstatzverfahrens müsstest du es von der Fähre von Helsinki nach Tallin gesehen haben, denk noch mal nach.

Anonym hat gesagt…

Sag mal, ist das der schiefe Turm der Kathedrale von Vilnius ??

Georg_und_Heidi hat gesagt…

Wir haben letztes Jahr auch das Baltikum bereist - allerdings mit Ziel St. Petersburg. Haben uns auch die 3 Hauptstädte reingezogen. Das Originellste waren für uns in Tallinn die vielen, vielen Kreuzfahrergruppen aus aller Herren Länder. Die Stadt war regelrecht überlaufen...
An den anonymen Blogger wegen dem schiefen Turm: Der Turm vom Dom in Vilnius ist tatsächlich leicht geneigt - aber nicht so krass, wie es auf dem Foto aussieht :-)