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Montag, 12. Januar 2009

Ein Ambassador, das Taj Mahal und immer wieder der Kampf um Indien

Der tiefe Fall

Nachdem ich am Morgen des 24.12. ein wenig in Daramsala herum gelaufen war, empfahl mir bei der Fahrt zurück nach Mcleod Ganj eine Nepalesin doch am Abend zu den Weihnachtsgesängen in die örtliche Kirche zu gehen. Ich ging direkt zur Kirche und der Name und die Lage dieser sprechen wirklich Bände…“St. John in the wilderness“. Sie liegt ca. 10 Minuten Fußmarsch von Mcleoad Ganj entfernt und sieht aus als hätte man sie direkt aus Schottland herversetzt. Auf dem örtlichen Friedhof sind einige interessante Gräber, unter anderem von James Bruce. Er war der ehemalige Generalgouverneur von Indien und davor Jamaica und Kanada. Er starb mit nur 52 Jahren hier am Fuße des Himalaya.
Gegen 18:00 Uhr bin ich also an Ort und Stelle. Schnell füllen sich die Kirchenbänke und es werden Kerzen und Liedertexte ausgeteilt. Das Publikum besteht fast vollständig aus Gästen und Leuten, die hier Freiwilligenarbeit für Tibeter leisten. Die englischen Weihnachtslieder werden von einem Chor junger Freiwilliger angeführt. Auf der rechten Seite neben dem Altar steht ein älteres indisches Pärchen, das im Wechsel mit dem Chor feierlich und mit Inbrunst indische Weihnachtslieder schmettert. Die Frau erreicht dabei Höhen, dass mir das Trommelfell flattert. Eine Stunde vergeht schnell und ich mache mich wieder auf den dunklen Weg zurück in die Ortschaft.
Ich habe meine Kopflampe dabei und beleuchte die Straße. Schnell schließen sich ein kanadisches Pärchen und ein Amerikaner an. Ich leuchte von rechts für die anderen und laufe auf der Seite des Abhangs. Plötzlich trete ich mit dem rechten Fuß ins Leere. Ich versuche mich noch irgendwo festzuhalten und der Kanadier greift nach mir aber nichts gibt mir Halt. Dann sehe ich, wie sich die Straße von mir entfernt und plötzlich schlage ich auf. Meine Kopflampe ist verrutscht und ich richte sie um zu sehen wo ich bin. Von oben höre ich fragende Rufe, ob ich in Ordnung bin. Ich richte mich auf und leuchte mich an und um mich. Ja, ich bin in Ordnung. Aber wo bin ich gelandet? Ich bin von der Straße in einen der Regenablaufgräben gefallen, der unter der Straße hindurch führt. Unten prallte mein oberer Steiß genau auf einen hübsch platzierten und etwas herausragenden Stein. Und natürlich hat vor ewigen Zeiten mal jemand etwas Stacheldraht hier verlegt. Diesen muss ich mir aus der Hose und zum Glück nur aus dieser entfernen. Danach wird mir etwas weiter die Straße entlang wieder hoch geholfen. Ich gehe zurück und kann nicht glauben, dass ich zweieinhalb Meter tief gefallen bin und mir nichts passiert ist. Das kanadische Pärchen meint lachend und richtiger weise, dass ich derjenige mit der Taschenlampe sei. Und nicht mal vom Messwein hab ich getrunken. Herrje!
Ich gehe in das größte Restaurant des Ortes und habe nun wirklich Hunger. Alle Tische sind belegt und ich frage eine Frau, ob ich an Ihrem Tisch platz nehmen darf. Es stellt sich heraus, dass Rachel und ihr Mann Simon seit 2003 immer wieder für längere Zeit herkommen und als Freiwillige für die tibetische Gemeinde hier arbeiten. Dabei lehren sie hauptsächlich Englisch. Wir unterhalten uns angeregt den ganzen Abend und ich beschließe am Ende meinen Teil beizutragen und die Rechnung zu übernehmen. Gegen halb elf bin ich zurück in meinem Zimmer und denke nur „Was für ein heiliger Abend!“.

Durch die Berge nach Delhi

Ich benötige statt einem zwei Tage um südlich, entlang der Himalaya-Ausläufer zu fahren. Übernachtungsmöglichkeiten finde ich in Mandi und Shimla. In Letzterem muss ich auf eine Luxusherberge ausweichen, weil halb Delhi zur Zeit hier oben ist und ich nach dem zehnten Hotel nur noch dieses Zimmer für fast 50 Euro zur „Auswahl“ habe.
Im wahrsten Sinne des Wortes Höhepunkt ist in diesen Tagen die Überquerung eines 3070 Meter hohen Passes. Die letzten 500 Meter sind hart vereist und ich habe Glück, dass über dem Eis noch etwas Dreck liegt, der mir Halt gibt. 100 Kilometer weiter trete ich bei meiner Hinterradbremse ins Leere. Trotz schonender Fahrweise sind die Bremsbacken vollkommen verschlissen. Ich baue neue ein. Eventuell muss ich die Bremsscheiben irgendwo mal abdrehen lassen. Sie haben einige Schlieren.
Der Weg nach Delhi ist schließlich über eine gut ausgebaute Autobahn kein großes Problem.
Was allerdings ein Hindernis darstellt, ist einen Ort zu finden, wo ich mein Motorrad für die nächsten zweieinhalb Wochen, wenn Helge kommt, sicher abstellen kann. Ich hoffte hier auf das Hotel in dem ich untergekommen war aber bei diesem und bei allen anderen im Umkreis ist dies absolut nicht möglich. Delhi hat 14 Millionen Einwohner und erstreckt sich über ein riesiges Gebiet. Und trotz dieser großen Ausmaße sind die Wohnviertel eng und kaum ein Platz ist ungenutzt.
Ich habe noch einen ganzen Tag Zeit und beginne am Morgen damit südlich in einem besseren Viertel und nordöstlich in einer tibetischen Enklave nach einem anderen Hotel mit Stellplatz zu suchen. Die Tibeter sind vollkommen ausgebucht und im Luxusviertel im Süden ruft die feine ältere indische Dame Preise auf, dass ich um Luft ringe.
Durch Zufall lande ich in einer Art Reisebüro im Zentrum. Man gibt mir dort zu verstehen, dass es sicherlich möglich wäre das Motorrad im angeschlossenen und bewachten Hinterhof abzustellen aber das eine Buchung einer Taxitour quasi eine Garantie darstellt. Diese Verbandelung gefällt mir zunächst nicht und ich finde auch noch eine zentrale Tiefgarage in der eine Unterbringung möglich wäre. Nachteil hier: Alle Welt parkt hier für ein paar Stunden und ich für mehr als zwei Wochen. So etwas fällt auf Dauer auf und lockt schnell ungebetene Interessenten an. Zurück beim Reisebüro denke ich mir, dass es ja nichts schadet sich mal ein paar Preise für eine Taxifahrt durch Rajastan aufschreiben zu lassen. In der Tat berät Manu, der Chef dort, mich gut und wir werden uns nach der obligatorischen Preisschacherei einig.

Wiederdersehen

Am nächsten Morgen ist es endlich soweit. Nach drei langen Monaten sehe ich Helge wieder. Früh fahre ich mit dem Taxi an den Flughafen. Wie so oft in dieser Jahreszeit ist Delhi von einer dicken Nebelwand verhüllt. Der Taxifahrer findet den Weg aber mühelos. Als Helge mit leichter Verspätung in der Empfangshalle erscheint ist die Freude groß.
Wir steigen in das Taxi und fahren Richtung Hotel. Der Wagen in dem wir fahren ist ein Ambassador, ein Nachbau eines englischen Klassikers. Am Steuer sitzt Ashok. Er und sein Gefährt werden uns die nächsten 10 Tage durch den Bundesstaat Rajastaat im Nordwesten Indiens fahren. In Europa wäre so etwas preislich unmöglich. In Indien ist es erschwinglich. Nach einer kleinen Erholung vom Flug beginne ich Helge zu zeigen wo sie gelandet ist. Sich nach einem 8 Stundenflug in Zentral-Delhi zwischen Motorrikschas und Kühen wieder zu finden ist mit Sicherheit ein leichter Kulturschock.
Am nächsten Tag beginnt unsere Reise auf dem Rücksitz des Ambassadors mit dem Ziel Jaipur. Es folgen die Städte Jodhpur, Udaipur, Pushkar und schließlich Agra, wo das weltberühmte Taj Mahal steht. Es sind Tage gefüllt von vielen Eindrücken, leckerem Essen, herrlichem Wetter und unzähligen Lassies. Wir übernachten in kleinen Hotels und Guest Houses und haben eigentlich immer Glück. Ashok muss ich gleich zu Anfang ein wenig in die Bahnen weisen, damit unsere Tour keine Butterfahrt wird. Es stellt sich später heraus, dass die Taxifahrer Coupons für jeden Touristen kassieren, den sie bei bestimmten Geschäften vorstellen. Und natürlich will er uns daher bei einigen Orten reinschauen lassen. Er muss schnell begreifen, dass wir nicht zum Einkaufen hier sind, uns unsere Hotels selbst aussuchen und am Abend auch mal aus der Stadt zum Hotel im Vorort zurück laufen. Wichtig ist uns auch, dass wir nicht an den Schnellstraßen in den überteuerten Touri-Imbissen halten, sondern dort wo auch die Inder ihren Milchtee trinken.
Besonders beeindruckt sind wir von den sehr detailliert in Marmor verzierten Tempeln der Jain (besonders in Ranakpur) und natürlich vom Taj Mahal. Letzteres erleben wir im Sonnenaufgang. Danach darf uns Ashok ausnahmsweise noch ein paar Mal in einigen Geschäften vorstellen und seine Coupons einsammeln. Und da Agra eine Marmorstadt ist, landen wir prompt in einer Manufaktur, die detailierte Edelstein-Inlays in Marmorflächen einarbeitet. Jede Farbe benötigt dabei eine andere Steinsorte und es entstehen am Ende herrliche Muster und Farben, die besonders bei den weißen Marmortischen, die durchleuchtet werden, beeindruckend sind.

Per Zug nach Varanasi

In Agra verabschieden wir uns von Ashok und dem Ambassador und wollen per Nachtzug nach Varanasi fahren. Am Bahnhof angekommen ereilt uns ein leichter Schock. Unser Zug ist wegen Nebels gestrichen worden. Wir werden zum Station Master (Bahnhofsvorsteher) geschickt. Dieser ist ein viel beschäftigter Mann. Er sitzt an einem großen viktorianischen Schreibtisch mit sage und schreibe zehn Telefonen sowie großen Büchern. Scheinbar wahllos greift er mal zu diesem und mal zu dem anderen Hörer. Dann trägt er Dinge in die Bücher ein. Einen Computer gibt es nicht, dafür eine freche Maus, die hinter ihm nach Nahrung sucht.
Er versteht unsere verzwickte Lage und rät uns den nächstmöglichen Zug zu nehmen und dort nach dem Einsteigen einfach nach zwei freien Liegeplätzen zu fragen. Beim Aufenthalt in der Wartehalle spielen sich nahezu unbeschreibliche Szenen vor uns ab. Da gibt es Familien, die sich auf dem Boden zusammengerollt in eine Decke hüllen. Ein Stück weiter verständigt sich ein taubstummes Bettlerpärchen mittels ein paar Handzeichen über die Ausbeute und Pannen des heutigen Tages.
Schließlich kommt der Zug und wir steigen ein. Nach ein paar Diskussionen bekommen wir zunächst ein Bett und nachdem ich einen Zugbegleiter bestochen habe, noch ein Zweites. Wir reisen im 3-tier Liegewagen. Das bedeutet, dass es drei Betten übereinander gibt. Der gesamte Wagon ist dabei ein Raum der nur von paar Zwischenwänden unterteilt ist. Und da wo in Deutschland der Gang ist, sind hier zwei weitere Liegen untergebracht. Die Enge ist wirklich nur im Schlaf zu ertragen. An eine durchgängige Nachtruhe ist aber nicht zu denken. Da wird natürlich laut geschnarcht, hier läuft jemand vorbei, der Zug fährt und dann stoppt er und ich kontrolliere aller halber Stunde unsere Position auf meinem GPS. Wir sollen planmäßig um 4 Uhr morgens in Moghul Sarai, 15 km von Varanasi entfernt, ankommen. Doch der Zug rollt erst gegen 9 Uhr ein und wir sind nicht wirklich böse darum.

Der innere Kampf um Indien

Auch in Varanasi liegt ein dicker Nebelschleier über der Stadt. Die berühmten Ghats (Treppen am Fkussufer) erstrecken sich einige Kilometer lang und es gibt sowohl Wohnhäuser als auch Tempel oberhalb. An zwei Stellen finden die Totenverbrennungen statt. Die Toten werden im Fluss gewaschen, dann in Seide gehüllt und auf einem 250 – 300 Kilogramm schweren Holzscheiterhaufen verbrannt. Das Holz dafür wird bis zu 1900 Kilometer weit aus Kerala im Süden geholt, da hier im Umkreis nicht mehr genug Waldflächen zur Verfügung stehen. Die Brust der Männer und die Hüften der Frauen werden nicht vollständig verbrannt. Sie werden im Fluss versenkt und von den Fischen gefressen. Der Fisch der von dem Fleisch frisst entscheidet am Ende ob die Person ‚rein’ war und damit den ewigen Wiedergeburtskreislauf durchbrechen kann und ins Nirvana kommt. Die restliche Asche wird in den Fluss gestreut.
In fünf Fällen werden die Toten nicht verbrannt, sondern mit Steinen beschwert im Fluss versenkt. Dies gilt für Kinder unter 9 Jahren, schwangere Mütter, Menschen die durch einen Schlangenbiss starben, heilige Männer und an Lebra Erkrankte, die eine Gliedmasse verloren haben. Die Verbrennungen sind öffentlich und jeder kann zusehen.
Beim Spaziergang entlang der Ghats kämpfe ich mit mir selbst. Dies soll angeblich ein besonderer Ort sein. Ich versuche mich für alle Dinge zu öffnen aber es gelingt mir nicht wirklich. Diese Kultur ist so unglaublich weit von meiner entfernt. Das direkt neben den Totenverbrennungen uriniert wird und Rinder und Wasserbüffel ebenfalls in unmittelbarer Nähe überall hin koten, gibt dem Ort und der Zeremonie nicht unbedingt etwas Erhabenes. Der Ganges ist quasi tot und die früheren Fischer bieten nun ihre Dienste als Wasserchauffeure an. Und trotzdem baden Viele im Fluss und 100 Meter flussabwärts neben den Verbrennungen wird Wäsche gewaschen und danach auf den dreckigen Stufen zum trocknen ausgelegt. Die Masslowsche Bedürfnispyramide gilt hier in Ihrer bekannten Form nicht, das steht fest. Es scheint als wäre das Ziel der persönlichen Vervollkommung hier nie angekommen. Man muss aber auch gestehen, dass es die negative westliche Gier nicht gibt. Die meisten akzeptieren ihre durch Geburt getroffene Einreihung in Gesellschaft und soziale Schicht und ordnen sich so klaglos in den scheinbar unveränderlichen Strom des Lebens ein. Der Antrieb zur Verbesserung ist so kaum vorhanden. Wäre dies immer noch eine reine Agrargesellschaft, wären die Folgen dieses Fatalismus vergänglicher Art. So aber leiden die Meisten unter den durch die westliche Zivilisation eingebrachten Neuerungen und den ungelösten und beispiellosen Folgen Luftverschmutzung, Müll insb. Plastik, ungeklärte Abwässer, schlechte Trinkwasserqualität, hohe Kindersterblichkeit etc.. Und die Leidensfähigkeit scheint an einigen Orten unbegrenzt. Generell frage ich mich ob Indien ein riesiges Experimentierfeld dafür ist herauszufinden, wie weit Menschen bereit sind Dinge einfach hinzunehmen.
Aber ich werde mich weiter bemühen Indien mehr und näher kennenzulernen. Wer weiß, was im Süden anders ist.


DER Pass


Der Ambassador, Ashok (unser Fahrer) und "the cute lady"


Amber Fort bei Jaipur


Galta Tempel...der Affentempel


Jain-Tempel in Ranakpur


Nochmal Ranakpur


Lecker Essen auf einem der vielen Dachrestaurants in Udaipur


Lake Palace Hotel in Udaipur...vielen Bekannt aus James Bond - Octopussy


Taj Mahal


...ohne Zeit und Raum


Ghats in Varanasi


Ja Baby genau diesen Blick will ich...halten...Danke!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

määähhhh...
Aua, aua, hättste mal lieber vom Messwein genascht, Besoffnen und kleenen Kindern passirt nüscht.

Das mit den Nicht-Verbrennungen der speziellen Leichen, ist für mich allerdings auch neu, und deine restlichen Beschreibungen vervollkommnen das Bild - aua aua noch mal.